Erich Kissing – Mythos Sehnsucht

27.02.2010 bis 06.06.2010

Der Maler und Zeichner Erich Kissing wurde 1943 in Leipzig-Knautkleeberg geboren. Schon als Kind beschäftigte er sich intensiv mit Zeichnen. Nach der Schule absolvierte er eine Lehre als Offsetretuscheur, um im Anschluss zunächst auch kurzzeitig in diesem Beruf zu arbeiten. Parallel dazu nahm er nicht nur privat Zeichenunterricht, sondern besuchte von 1961 bis 1964 auch die Abendakademie der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig mit Kursen bei Walter Münze, Rolf Kuhrt und Karl Krug. Von 1965 bis 1970 studierte er schließlich bei Werner Tübke und Hans Mayer-Foreyt (Grundstudium) sowie Wolfgang Mattheuer und Gerhard Brose (Angewandte Grafik) an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Obwohl er bis 1989/90 nahezu zwei Jahrzehnte regelmäßig auch in der Messegestaltung und später, Mitte der 1990er Jahre, annähernd zwei Jahre im Malsaal der Leipziger Oper tätig war, behauptete er von Anbeginn stets Unabhängigkeit von jeder institutionellen Bindung wie dem offiziellen Kunst- und Ausstellungsbetrieb. Seit 1970 lebt und arbeitet er als freischaffender Künstler in Leipzig.

Vor allem die Ausbildung bei Werner Tübke und dessen Vorbild waren wegweisend für Erich Kissings eigene künstlerische Entwicklung. Sehr früh schon und in aller Stille ist er zu einem der exquisitesten Feinmaler der »Leipziger Schule« avanciert, der traditionelle Lasurtechnik vollendet mit zeichnerischer Strenge und porengenauer, fein ziselierter Farbmodellierung zu verbinden weiß. Die in zum Teil jahrelanger Präzisionsarbeit entstandenen Gemälde zeigen eine Welt der Sehnsucht, die genauso real wie mythisch, skurril, phantastisch oder romantisch erscheint. Inspiration zu seinem Schaffen findet er dabei sowohl in der Außenwelt, als auch – zunehmend verstärkt – im Universum seines eigenen Ich, seinen Sehnsüchten, Erwartungen, Obsessionen und Ängsten. Nach einem Auftaktzyklus zum Thema „Fliegen“ (1968–1976), der den Übergang vom Studium zur freischaffenden Künstlerexistenz markiert, setzte Ende der 1970er Jahre eine Serie privatmythologischer Phantasien mit Sauriern und Fabelwesen ein, der sich nach einem Intermezzo mit Landschaftsbildern und Porträts, geschaffen in der zweiten Hälfte der 1980er und den frühen 1990ern, eine Folge großformatiger Gemälde mit schönen nackten Frauen und Kentauren anschließt, die in ihrer Verbindung von Mythos und Wirklichkeit ganz der Tradition des Symbolismus verpflichtet scheinen.

Obgleich die Malerei bei Erich Kissing im Zentrum steht, basiert sein gesamtes künstlerisches Schaffen auf einer intensiven zeichnerischen Vorbereitung, die von der ersten Ideenskizze einer Komposition über unzählige Modellstudien bis zu vollständig ausgearbeiteten großen Entwürfen reicht. Eine Sonderstellung beanspruchen dabei die bildhaft geschlossenen und vollendet verdichteten Malerzeichnungen des Jahres 1980 mit Landschaftsmotiven von der Ostseeküste und aus den rumänischen Karpaten. Sie belegen anschaulich die letztlich allem zugrunde liegende, bestimmende Bindung der Bildwelt von Erich Kissing an die Natur, die Wirklichkeit, das Leben.

So rar und kostbar, wie dieses Œuvre in der zeitgenössischen Kunst ist (die Studienarbeiten eingeschlossen umfasst es bis jetzt gerade einmal 53 Ölmalereien), so selten ist es bisher in der Öffentlichkeit zu sehen gewesen. Nach der großen Jubiläumsschau des Malers 1993 im Museum der bildenden Künste in Leipzig ist die Retrospektive im Panorama Museum Bad Frankenhausen mit etwa 100 Exponaten die umfassendste und bedeutendste Manifestation seines Werkes überhaupt. Erstmals seit mehr als anderthalb Jahrzehnten wird das künstlerische Gesamtwerk von Erich Kissing in einer Retrospektive gewürdigt, die den Bogen über 45 Schaffensjahre von ersten Studienzeichnungen, entstanden noch unter direkter Anleitung von Werner Tübke (von dem eine Auswahl von Vergleichsarbeiten einbezogen wurde), bis zu den jüngsten Großformaten des Malers schlägt. Herausragender Stellenwert kommt dabei so bedeutenden Gemälden wie dem Gruppenbild »Leipziger am Meer« (1975–1979), dem kritisch-skurrilen »Entwurf für ein Denkmal« (1980–1982), »Verwilderte Plantage« (1993–1994), »Das Urteil des E. K.« (1998–2000) und »Sommertag« (2007–2009), dem Hauptwerk der letzten Jahre, zu. Leihgaben von privat vervollständigen den Überblick über ein faszinierendes Lebenswerk, das es als Beitrag sinnbildhaft-realistischer Figuration in der Malerei der Gegenwart immer noch zu entdecken gilt.

Zur Ausstellung erschien ein monographischer Katalog mit einer umfassenden Einführung in Leben und Werk des Künstlers von Günter Meißner, Texten von Erich Kissing und Gerd Lindner und Abbildungen aller ausgestellten Werke, darunter auch einigen frühen Arbeiten von Werner Tübke.

Erich Kissing
Das Urteil des E. K., 1998-2000

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