Werner Tübke - Der Zellerfelder Altar
15.10.2007 bis 27.01.2008
»Kirche und zeitgenössische Kunst pflegen ein schwieriges Verhältnis«, konstatierte der Berliner Kritiker Sebastian Preuss anlässlich der Einweihung von Werner Tübkes Altarbild für die Zellerfelder St.-Salvatoris-Kirche im April 1997. Scheuten die Kirchen die oft provokante »Ortlosigkeit« heutiger Kunst, so beharrten gerade führende Künstler im Gegenzug vielfach auf ihrer uneingeschränkten Autonomie und seien nur selten bereit, sich den Bedingungen einer solchen Auftragsarbeit zu fügen. Gelingt es aber, einen namhaften Künstler für ein solches Vorhaben zu gewinnen, sind nicht selten Diskussionen und Debatten um Persönlichkeit und Werk bis in die Tagespresse hinein vorprogrammiert.
Auch früher schon haben ungewöhnliche Werke Anlass zu Kritik und Ablehnung gegeben. Prominentestes Beispiel ist Michelangelos Jüngstes Gericht in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Gerade im Fall von Altarbildern, die bis heute eine eindeutige, klare Funktion im Rahmen der Liturgie zu erfüllen haben, sind die Ansprüche und Erwartungen der Auftraggeber wie der Gemeinde hoch gesteckt und die Skepsis potentieller Kritiker besonders ausgeprägt.
Vor diesem Hintergrund sind die in den letzten Jahren und Jahrzehnten unternommenen Bemühungen im Bereich der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, führenden Vertretern der zeitgenössischen Kunst mit entsprechenden Aufträgen Raum zu geben, kaum hoch genug zu schätzen. Namen wie Stephan Balkenhol, Johannes Grützke, Johannes Heisig oder Friedrich Press bürgen für das außergewöhnliche Niveau dieses Ansatzes. Der in diesem Zusammenhang wohl aber bedeutendste Auftrag wurde Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts dem inzwischen verstorbenen Leipziger Maler und Zeichner Werner Tübke zuteil. In mehr als dreijähriger Arbeit (1994-96) schuf Werner Tübke, der Autor des monumentalen Panoramagemäldes von Bad Frankenhausen zur Epochenwende am Beginn der Neuzeit, einen neuen, großformatigen Wandelaltar für die St.-Salvatoris-Kirche in der kleinen Harzer Bergstadt Clausthal-Zellerfeld.
Doch allein schon der Fakt, dass Werner Tübke den Auftrag übernahm, musste für anhaltenden Diskussionsstoff sorgen, denn der deutsch-deutsche »Bilderstreit« um den eigentlichen Stellenwert der Kunst aus dem Osten, der ehemaligen DDR, war soeben erst mit neuer Schärfe angefacht worden. Umso mutiger ist der Vorstoß zu werten, einen Maler, dem man pauschal Systemnähe zu einem diskreditierten Regime, Verstrickungen in den Machtapparat und privilegierte Staatskünstlerschaft vorwarf, mit einem solchen Auftrag für ein sakrales Kunstwerk zu betrauen, zumal dieser freimütig bekannte, »gewiss kein christlicher Maler« zu sein. Doch für einen richtigen Hauptaltar mit Flügeln und Predella, so der Künstler in seiner bekannt kurzen Art, dafür falle ihm eine Menge ein.
Viel ist in den Medien darüber berichtet worden. Ernsthafte Untersuchungen zum Bildprogramm gibt es indes nur wenige. Die bislang gründlichste Analyse hat Johanna Brade Anfang 1998 in der Zeitschrift »Das Münster« veröffentlicht. Weiterführende Studien zur Entstehung des Altars, speziell zur Ausarbeitung des Bildprogramms, seiner Diskussion und kunstkritischen Einordnung in Tübkes Gesamtwerk stehen immer noch aus. Anhand der in dieser Ausstellung präsentierten 80 Vorarbeiten, Studien und Entwürfe, die sich im Besitz der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers befinden, und einem annähernd originalgroßen Modell des Altarwerkes, werden im Begleitkatalog der Werdegang des Auftrages und die Grundzüge der Motiventwicklung nachgezeichnet, die Ikonographie des Ende 1996 bereits vollendeten Altarretabels umrissen und der Kontext des Werkes im Schaffen von Werner Tübke skizziert.
Die Ausstellung, zu der ein Begleitkatalog mit 144 Seiten und 105 Abbildungen im hauseigenen Verlag erschien, wurde unterstützt durch die Ev.-luth. Landeskirche Hannovers und die Sparkassen-Museumsstiftung für den Kyffhäuserkreis.