Michael Triegel – ars combinatoria

01.07.2006 bis 08.10.2006

Neue Malerei aus Leipzig ist in aller Munde. Der Kunstmarkt boomt. Bilderrausch als Surrogat für Sinnverlust und Entfremdung. Der Erfolg der jungen Leipziger und ihrer Zeitgeist-Malerei scheint total. Doch es gibt auch unbeirrbare Einzelgänger und Individualisten, die nicht minder erfolgreich sind, obwohl sie sich der allgemeinen Gruppenästhetik entziehen. Einer von ihnen ist Michael Triegel, geboren 1968 und gleichfalls Absolvent der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. In Stil und Haltung erscheint er unmittelbar geistesverwandt mit Werner Tübke, einem der Väter der „Alten Leipziger Schule“ und Präzeptor zeitgenössischer Figurenmalerei, der als betont altmeisterlicher Neo-Manierist lebenslang ein Solitär geblieben ist.

Auch Michael Triegel schöpft seine Inspiration zum Großteil aus der Tradition. Doch während Tübke primär historisch argumentiert, ist Triegel in seiner bildnerischen Arbeit allegorisch, ja mythologisch geprägt. Christlich-ikonographische Zusammenhänge sind ihm ebenso vertraut wie die Welt der antik-mythologischen Geschichten. Er kennt die Literatur von Dante bis Marcel Proust und zitiert mühelos aus Künstlerviten, ästhetischen Theorien und Malereitraktaten der Renaissance wie aus der Bibel und philosophischen Schriften. Immer wieder greift er zurück auf Stile, Motive und Ikonographien von der Renaissance bis zur Romantik, auf „Material aus zweiter Hand“, durchmischt, korrigiert und bestätigt von unmittelbarer Naturanschauung. Sein Spiel bestehe gerade darin, so Triegel, den Alten Meister auf den ersten Blick zu behaupten, doch sogleich auch wieder zu dementieren.

Dabei gilt ihm gerade die Epoche des Manierismus als Modellfall der Gegenwart, eine Zeit, in der die Pfeiler eines ganzen Weltbildes ins Stürzen geraten, tradierte Glaubensgewissheiten wanken und die Gesellschaft von Krisen geschüttelt ist. Gleiches empfindet er heute, nachdem purer Rationalismus und ein grenzenloser Fortschrittsglauben alles Transzendente aufgehoben und den Menschen in seiner Sinnsuche mehr als je zuvor allein auf sich selbst zurückgeworfen haben. Nur der Künstler, er allein vermag dieser radikal entzauberten Welt einen neuen metaphysischen Sinn zu geben. Die Regeln, die in der Wirklichkeit gelten, werden in seiner Kunst dabei nicht selten außer Kraft gesetzt und kritisch oder mit Ironie in Frage gestellt. Nur so kann er leisten, was er für sich als zentrale Aufgabe sieht: sich ein Bild zu machen von der Welt und dem Wesen des Menschen, von dem, was am Ende wirklich bleibt. Denn letztlich sind es immer wieder die gleichen Grundthemen, die die Menschen seit jeher bewegen – Themen wie Geburt, Liebe, Glück, Einsamkeit, Trauer, Verrat, Erlösung oder Tod. Diese beständig neu zu befragen betrachtet er als eines der vordringlichsten Anliegen seiner Kunst.

Triegels methodisches Verfahren beruht auf einer meisterhaften und nie ohne Rest entschlüsselbaren, virtuosen ars combinatoria. Bild- und Gedankenfragmente werden aus ihrem Kontext genommen und auf neue, bislang unbekannte Weise zusammengefügt mit dem Ziel, komplexe Inhalte und Aussagen zu formulieren oder aber in Zweifel zu ziehen, die die Suche nach einem Geistigen mit archetypischer Verdichtung und einer geradezu existentiellen Zivilisationskritik verbindet. Dabei bleibt die Kunst von Michael Triegel immer ein sinnliches Ereignis, das ein Verstehen derart komplexer Bedeutungsgehalte auch ohne besonderen Bildungsnachweis erlaubt.

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