Dopo de Chirico

Metaphysische Malerei der Gegenwart in Italien

20.10.2012 bis 03.02.2013

Die Pittura metafisica gilt als einer der herausragenden Beiträge Italiens zur Kunst der Moderne, Giorgio de Chirico (1888–1978) als ihr Begründer und bedeutendster Vertreter. Als bildnerisches Prinzip, das auf ein Wesenhaftes, ein Geistiges zielt, welches dem Sein inhärent ist und im Rätsel der Darstellung offenbar wird, hat diese Malerei unabhängig von der Frage ihrer stilistischen Eigenart eine Wirkmacht entfaltet, die speziell in Italien zu einer breiten Nachfolge geführt hat.

Die Ausstellung „Dopo de Chirico“ präsentiert 85 signifikante Beispiele metaphysischer Werke von Künstlern aus drei Generationen nach de Chirico, deren Schaffen aus dem Geist der Tradition als spezifisch italienische Leistung zeitgenössischer Kunst längst europäische Bedeutung in Anspruch nimmt. Was sie eint, ist ganz im Sinne de Chiricos „[eine] Metaphysik, die im Diesseits wurzelt“ (Wieland Schmied), „eine seltsame und profunde Poesie, unendlich geheimnisvoll und unvergleichlich“ (Giorgio de Chirico). Dennoch bilden sie keine Gruppe, noch nicht einmal eine in sich geschlossene Strömung, sondern eine Phalanx von einzelnen, herausragenden Meistern, deren Werke von einer „immanenten Transzendenz“ erfüllt sind, die nicht jenseits des Sichtbaren, sondern in der Tiefe der Erscheinungen, im Urgrund von Ich und Welt, liegt. Vorgestellt werden in der Folge der Jahre: Gianfilippo Usellini, Stanislao Lepri, Fabrizio Clerici, Carlo Guarienti, Leonardo Cremonini, Gianfranco Ferroni, Domenico Gnoli, Armodio, Sergio Albano, Gian Paolo Dulbecco, Claudio Bonichi, Roberto Rampinelli, Bernardino Luino, Giuseppe Modica, Luca Crocicchi, Alberto Andreis und Ana Kapor.

Das Verbindende in den Bildern dieser Maler äußert sich nicht zuletzt in einer gemeinsamen melancholischen Grundstimmung, die wesentlich getragen wird von einem Gefühl der Sehnsucht, Stille und Verlorenheit, der Einsamkeit und des Ausgeliefertseins an eine Zeit und Wirklichkeit, die sich jedem einfachen rationalen Verständnis entziehen, was in der Erkenntnis gründet, dass es eine letzte, allumfassende Erklärung der Existenz nicht gibt. Was bleibt, ist die Erfahrung einer abgrundtiefen Verunsicherung, einer Undeutbarkeit, die die Bilder beherrscht und ihnen die Würde und Magie eines Geheimnisses verleiht, ohne in einen konstruiert rätselhaften literarischen Symbolismus zu münden. Eine neue Welt der Symbole wie Nietzsche sie noch gefordert und de Chirico sie geschaffen hat, ist den hier Versammelten nicht nötig. Ihrem Bilderkosmos genügen vollkommen die Anschauung des Sichtbaren und das Arsenal tradierter Motivik in der ganzen Spannweite von der figürlichen Allegorie über das stilllebenhafte Arrangement bis zur metaphorischen Landschaft. Alle scheinen in ihren Bildern mehr oder weniger der Wirklichkeit verpflichtet oder doch zumindest einer Vorstellung von Wirklichkeit, die in ihren „letzten Gründen“ dem Menschen indes ein ewiges Geheimnis scheint. Die Welt als Ganzes wie in ihren Teilen hat demnach zwei Seiten: eine reale, sichtbare, und eine metaphysische, jede Erfahrung, jedes gesicherte Wissen, jede eindeutige Fassbarkeit übersteigende.

Die Zugehörigkeit zur Tradition der metaphysischen Malerei in Italien gilt heute als Gütesiegel, das nicht zuletzt auch das eigene Schaffen nobilitiert. Entsprechend konsequent wird von den Protagonisten dieser Kunst das Terrain abgegrenzt, das Umfeld sondiert und die eigene Position behauptet. Das Spektrum der jeweiligen Herangehensweisen, der Formvarianten, Stile, Haltungen und konzeptionellen Auffassungen der zeitgenössischen Metaphysiker ist dabei denkbar breit. Es reicht von neo-manieristischen und phantastischen Ausprägungen über neoklassische Formen und romantische Aspekte bis zu neusachlichen und magisch-realistischen Erscheinungen, die auch sehr sensualistisch sein können. Die Einheit des Sinnlichen und des Geistigen bleibt dabei jederzeit gewahrt.

Überschaut man das Schaffen der ausstellenden Künstler, kann man Maurizio Fagiolo dell’Arco in seiner Behauptung einer gewachsenen Kontinuität metaphysischer Malerei von de Chirico bis heute nur zustimmen. Mehr noch: Wie ein roter Faden zieht sich das Metaphysische durch die zeitgenössische Kunst Italiens. Die Erfindung der Pittura metafisica feiert ihr Zentenarium. In der Rückschau zeigt sie sich als ein tragendes Rückgrat der italienischen Kunst der Gegenwart, einer Kunst, die Tradition und Moderne in großartiger Weise zur Synthese gebracht und versöhnt hat.

Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher zweisprachiger Katalog in Deutsch und Italienisch mit Texten von Janus, Gerd Lindner, Rosaria Fabrizio und Giorgio de Chirico sowie Reproduktionen aller ausgestellten Werke. (232 Seiten, 34,50 €, Auszug als PDF-Download)

Bestellung unter museumsshop@panorama-museum.de

Sergio Albano
Kloster, 2008
Alberto Andreis
Erwartung, 2000
Armodio
Erinnerungsnester, 1997
Claudio Bonichi
Hermes, Beschützer der Stadt, 1979
Fabrizio Clerici
Vis-à-vis, 1981
Luca Crocicchi
Die Schöne und die Kröte, 1998-99
Gian Paolo Dulbecco
Atlantis, 2003
Gianfranco Ferroni
Pferdeschädel, 1992
Carlo Guarienti
Der Paravant, 1975
Ana Kapor
Nachtstück, 2008
Bernadino Luino
Stuhl mit Tuch, 2011
Giuseppe Modica
Mittelmeer – Melancholie (Wasser, Erde, Luft, Licht), 2011-2012
Gianfilippo Usellini
Die Fotografen, 1940

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